29.12.07

Anmerkungen zur Antwort der CONCORDIA

Den Brief der Concordia (bzw. deren doch beträchtlichen Anhäufung von Sätzen auf einem Stück Papier) habe ich ja bereits Anfang November 2007 an dieser Stelle veröffentlicht. Seither war ich ein bisschen unpässlich und die Aktualität mag verloren sein, doch kann ich der Beschaffenheit des Schreibens meiner Krankenkasse das Scheren einfach nicht ersparen. Zum Kommentieren wähle ich die einfachste Form, nämlich die des dummen Dreinredens (einer helvetischen Untugend, die einem Freitag für Freitag die Eingeweide zunderoppsi stülpte, sähe man nach 22 Uhr noch DRS1). Meine Kommentare sind blau (aber, mind you, nicht –äugig).

Prämienausstand vom Juni 2005

Sehr geehrte Frau I [ ]

Sie haben uns am 22.10.2007 angeschrieben und Ihren Unmut über die Praxis betreffend Einforderung eines alten Prämienausstandes ausgedrückt. Gerne nehmen wir dazu Stellung. „Unmut“ und „gerne“ passen schon mal schlecht. Auch die Andeutung eines wohlwollenden Niveauunterschieds ist nicht so doll getroffen, aber ja item. Auftakte sind in der Tat schwierig.

Am 10.06.2005 erhielten wir von Ihrer Bank die Meldung, dass wir die Prämie vom Juni 2005 nicht automatisch Ihrem Bankkonto belasten konnten. Aus Datenschutzgründen ist uns nicht bekannt, warum diese Belastung nicht vollzogen werden konnte. Wär ja noch schöner. Sie erhielten daraufhin von uns am 24.06.2005 ein Schreiben, in dem wir Sie auf den Ausstand von CHF 376.50 aufmerksam machten. Mit meiner Bank bleibt bezüglich des Zahlungsvorganges noch ein Hühnchen zu rupfen… Dem Schreiben haben wir einen vorgedruckten Einzahlungsschein beigelegt. Am 14.07.2005 ist Ihre Zahlung bei uns eingetroffen, jedoch nur über den Betrag von CHF 142.75. So viele Daten und so viele Zahlen und kein einziger Beleg? Nun denn, wenn man sich seiner Sache sehr sicher ist, geht das. Dass damit auch ein gewisses Autoritätsgefälle ausgedrückt wird, geht auch. Aber es geht nicht an. – Tatsächlich recherchierte ich alles und kam der Sache auf die Spur.

Selbstverständlich ist die Tatsache, dass wir den Ausstand erst im Jahr 2007 bemerken Komma nicht Ihr Fehler. In unserem Schreiben vom 10.10.2007 haben wir Sie über diesen unglücklichen Umstand informiert und uns dafür auch entschuldigt. Wir entschuldigen uns nochmals für die Verzögerung des Mahnprozesses. Es gibt nichts zu entschuldigen, ausser natürlich floskelbedingt. Fehler passieren uns allen. Aber bei Fehlern solcher Art sollte man hinstehen können und sagen „das ist uns ausserordentlich peinlich und unangenehm und jetzt haben wir aber trotzdem die Stirn, auf unsere Kleinmütigkeit zu pochen“ oder so ähnlich.

Die gesetzliche Grundlage für die Einforderung des Ausstandes beruht auf dem Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) Art. 24, Abs. 1. Der Anspruch auf ausstehende Leistungen oder Beiträge erlischt fünf Jahre nach dem Ende des Monats, für welche die Leistung, und fünf Jahre nach dem Ende des Kalenderjahres, für welches der Beitrag geschuldet war. Na okay, das war’s schon. Ich hatte ja gesagt, ich würde mich dem beugen. Dass dann *einen* Tag nach Ablauf der weiter unten genannten Zahlungsfrist eine Mahnung ins Haus flattert, bestätigt allerdings äusserst pikant den Verdacht auf Kleinmütigkeit. – Oje. Aber jetzt isses bezahlt. Dank auch an meine Bank, die frischfröhlich ein LSV einfach nicht ausführt und mich, zweieinhalb Jahre nach dem Ereignis, in eine so eigenartige Lage bringt.

Ihre Frage nach der ethischen Grösse unserer Organisation bejahen wir. Ich hatte gar keine Frage gestellt, die mit „ja“ oder „nein“ beantwortet werden kann. Es mag für Sie im Einzelfall nicht nachvollziehbar sein, dass wir diesen Ausstand einfordern, wir wenden jedoch die Gesetze korrekt an und vermeiden somit eine Ungleichbehandlung von unseren Versicherten – was ein Ziel einer Sozialversicherung ist. Egal ob gesund, krank, weiblich oder männlich wir kennen keinen Unterschied in der Behandlung unserer Kunden. Wir hoffen, es stösst bei Ihnen auf Verständnis, dass sich die Mitarbeitenden der Buchhaltung im Einzelfall nicht um die Krankengeschichte der Kunden kümmern dürfen, dies vor allem aus Gründen des Ihnen zu Gute kommenden Datenschutzes. Vor Einführung des Pilotprojektes Assistenzbudget wollten Sie keinen finanziellen Beitrag an meine (damals einzige) Assistentin leisten. Korrekt (teure Krankenpflegerinnen von der Spitex werden bezahlt, viel günstigere privat angestellte Assistentinnen nicht. So vernünftig ist korrekte Auslegung irgendwelcher Paragraphen manchmal). – Kein Beitrag an Fusspflege. Korrekt, da nicht gesetzlich vorgeschrieben. Trotzdem komm ich mit meinen Händen nicht an meine Füsse ran. – Nur ein halber Beitrag an das einzige wirksame Medikament zur Behandlung meiner Krankheit, weil ich nicht vollumfänglich alle Kriterien zum vollumfänglichen Elend erfülle und es mir NOCH lediglich halbelend geht (aus erster Quelle weiss ich, dass in der Friedreich Ataxie-Vereinigung der Romandie *alle* Patientinnen und Patienten von Ihren Krankenkassen das Medikament vergütet bekommen, egal, wie viele Kriterien sie erfüllen – schlicht, weil die Krankheit so oder so ein Hammer ist). Aber eben: die CONCORDIA ist korrekt. – Sie ist derart korrekt, dass sie mir den pflichtmässigen, gesetzlich vorgeschriebenen Anteil an meine Therapiefahrten erst nach erheblicher Auseinandersetzung und einer Belehrung durch fadenscheinigste Argumente bezahlt (man kann’s ja mal versuchen, vor allem bei einer Sottigen-wie-mir). – Und die CONCORDIA ist so korrekt, dass sie mir die Physiotherapie streicht und lediglich *ELF* Protestbriefe meiner Ärzte und Therapeuten benötigt, um einzusehen, dass das Ausmass einer Friedreich Ataxie nicht unerheblich weitgehender ist als das eines Armbruchs und ich dann doch wieder in die Physio darf (aber man kann’s ja mal versuchen usw.). – Bei so viel Korrektheit dreht sich mir der Magen um (sie möge mir verziehen sein, meine kleine Unkorrektheit).

Nicht unerwähnt lassen wir auch Ihr vorbildliches Verhalten zum Kostensparen. Trotzdem weisen wir Sie darauf hin, dass die CONCORDIA eine Unternehmung ist, welche nicht gewinnorientiert arbeitet. Eine Non-profit Organisation!!! Och nein aber auch!!! Verkaufte man uns Stimmbürgern damals, als es um die Einführung des KVG ging, dieses nicht damit, dass sich die Krankenkassen sich auf dem freien Markt verhalten sollen wie alle sich dort tummelnden Betriebe? Also scheidet die CONCORDIA aus diesem Wettbewerb aus? Hört hört, Verantwortliche im BVS! Gewiss ist, dass alle Krankenkassen verpflichtet sind, eigene Reserven aufzubauen und sich selbst wirtschaftlich zu erhalten. Diesen Umstand als „nicht gewinnorientiert“ zu bezeichnen, ist wirklich bemerkenswert angewandte Kunst euphemistischer Politik. Sämtliche Einsparungen unserer Versicherten vermindern das enorme Ansteigen der Leistungsbezüge und wirken sich schlussendlich auf die Prämienhöhe aus, was im Endeffekt unseren Kunden zu Gute kommt. Eben. Und dabei habe ich der CONCORDIA 5- wenn nicht 6-stellig geholfen. Freilich lasse ich nicht ausser Acht, dass die CONCORDIA mit mir auch viele Ausgaben hat. Doch zum einen bezahle ich eine Monatsprämie und zum andern ist das in diesem Zusammenhang gar nicht der Punkt.

Wir sind überzeugt, dass unsere Stellungsnahme Ihre Fragen und Unsicherheiten solche habe ich nicht beseitigen konnte Wieder drückt sich – und nun sage ich es unumwunden - in diesen Worten eine vollkommen unakzeptable paternalistische Haltung aus und bitten Sie, den Ausstand von CHF 233.75 bis am 20.11.2007 zu begleichen. Sollte Ihnen die Totalzahlung nicht möglich sein, bitten wir Sie uns telefonisch zu kontaktieren, damit wir die Möglichkeiten einer Ratenzahlung besprechen können. Dass Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter mein Dossier nicht lesen dürfen, ist ohne Zweifel angebracht. Dass aber diejenigen Personen, die das sehr wohl dürfen, die dort stehenden Begriffe nicht verstehen, ist bedenklich. Wie sonst ist zu begreifen, dass einer 44-jährigen Frau mit Friedreich Ataxie angetragen wird, sie möge irgendwo *anrufen* ? Der Gegenstand dieser Offerte ist freilich freundlich beabsichtigt, trägt er auch einen hauchzarten Ton der Herablassung.

Freundliche Grüsse

CONCORDIA

A. Capiaghi/Bereichsleiter (Unterschrift)

M. Leitz/Teamleiterin (Unterschrift)

Ich wünsche Ihnen ein schönes neues Jahr, meine Damen und Herren meiner Krankenkasse. Seien Sie sich dessen gewiss, dass ich weder nächstes noch in einem der folgenden Jahre zu einer andern Kasse wechseln werde, um Ihrer Non-profit Organisation zu besserer Bilanz zu verhelfen, egal wie „korrekt“ Sie sich geben. „Korrekt“ kann ich allemal auch sein. Gälledsi.

4.12.07

Warum ein Spitalaufenthalt auch noch schlimm ist

Die Worte, die an mich geraten, fressen mich auf, und doch bin ich dann noch da. Die Worte, die nicht aus mir kommen, essen mich auf, und noch immer bin ich da.

Die Art des Satzes hab ich von Herta Müller geklaut, der neuen Dozentin für Poetik an der Universität Zürich. Worte können schmerzen wie wahrhaftige Schläge, brennen wie Spritzen in geschundene Beine. In der Tat finden Worte ihre eigentliche Bedeutung in einem Vergleich, in etwas ganz anderem. Sie werden zu diesem anderen.

Zwei Wochen Krankenhaus.

Ins Röntgen wurde ich gerollt – im Bett, wohlgemerkt, wo ich seit 13 Tagen schon lag. Eine Dame kam, die man sich, so auf den ersten Blick, gut hinter einem Stand auf dem Gemüsemarkt vorstellen kann („vegetable condition“ nennt man in der Tat den Zustand von Gehirntoten, dem ich wiederum näher war als sie). „Frau Isak, chönnd Si uufstoh?“ – Ich mach grosse Augen und japse „äh, nein…“ – und dann folgt glatt „Wieso nöd?“ – Indeed die Sensibilität einer Gabelstaplerfahrerin. Ich fuchtle mit meinen ataktischen Armen und da scheint ihr was zu dämmern. Mein Vater meinte später, ich hätte doch sagen sollen, ich sei sturzbesoffen und könne eben nimmer stehen. Aber die geneigte Leserin weiss ja, was für ein Ekel ich bin und was ich mir alles einfallen lasse, um unschuldige Leute zu ärgern. Zum Beispiel stehe ich aus lauter Boshaftigkeit nicht aus dem Spitalbett auf – oder schreibe einen Text im Blog.

Zwischen sieben und halb neun 12 verschiedene Menschen in meinem Zimmer. Einzel, obschon ich nur allgemeinversichert bin. Ginge rein logistisch gar nicht anders. Mit meinem Rolli komm ich trotzdem nicht in „mein“ WC-Kabinchen (übrigens *gibt* es hier *kein* Rollstuhl-WC – ja ja!! In einem Krankenhaus!!). Fremde Menschen sehen mich auf dem Nachtstuhl sitzen. Schwester A wäscht meine linke, Pflegerin B meine rechte Achsel. Telefongeklingel, Tür auf, Tür zu, jetzt sogar ein Mann. Unnötig, Tee zu bringen, wenn ich oben ohne bin. Wie er nicht schaut. Und wie alle aber schauen, als hätte ich ausgesuchte Kleider an, sässe in einem Hotelfauteuil, stünde ganz kompetent. – Also was hab ich eigentlich? Bild ich mir die Grenzüberschreitungen, welche auf die übelstnotwendigen gestülpt werden, bloss ein? Ich bin schon längst nicht mehr in meinem Körper. Dieser stürbe. Verwirrt, beschämt, meine Seele hat Erbarmen mit meinem Leib.

Alle lächeln. Das ist das Schrecklichste. Nichtlächeln ist auch schrecklich.

Ich brauche Wortlosigkeit und Abwesenheit am Morgen.

Ein Schangli begleitet mich zu einer Untersuchung. Der leitende Arzt nimmt Schanglis nicht wahr. Schanglis sind unten, leitende Ärzte oben. Hierarchie. Der leitende Arzt bringt meinen Rücken in Ordnung. Schangli lobt mein Geradefahren. - Ich studierte mal, habe einen akademischen Titel. Ein Kroate oder Serbe oder Slowene lobt mich nun, in gebrochenem Deutsch, dafür, dass ich nicht in den Türrahmen donnere. Soll ich ihn dafür loben, wie gut er einen Fuss vor den andern setzen kann? Tu ich nicht, bin ja nicht unverschämt. Schwester C lobte mich heut morgen fürs Stehenkönnen ( = über der Bettkante Hängen). Total nett, ehrlich. Soll ich jetzt zurückloben, wie schön normal sie sprechen kann? Bin doch nicht absurd. – Aber sie meinen es ja nur gut. Also muss ich schlecht sein, wenn ich dann so schlechte Gedanken und Gefühle habe. Kinder denken so. Ich bin hilfloser als ein Kind. Monströs, ihr Gutmeinen so total beleidigend (d. h. mir ein Leid zufügend) zu empfinden. Behindert und schlecht. Unschuldig und lieb. Lächelnd und absurd. Freundlich und beleidigend. Perspektiven flimmern. Ethik feixtanzt.

Würde“??? Hier wohl eher der Konjunktiv 3. Person Sg (Singular, nicht Sankt Gallen) von „werden“.

Aus dem Untersuchungsraum tritt eine sehr zentraleuropäisch aussehende Frau. Sie nähert sich unangenehm nah und kaudelwelscht „Sie noch können warten einen Moment?“ Ihre Gesichtsmuskeln kauen die Worte. Ich stutze. „Sie hier gut?“ Jetzt frage ich sie, ob sie Schweizerin sei. Diesmal ist sie es, die stutzt. Bejaht aber „wärumm?“. Wieso sie dann so komisch spreche? „Aaaahahahahihihi wüssed Sie ich ha gmeint Si verstönnd mich nöd! Jo denn isch jo alles keis Probleeem!“ – Ich spreche zu langsam und zu leise, um den Satz formulieren zu können Sie müssen eben *wissen*, nicht meinen! – Um etwas derartiges zu wissen, muss man freilich vorher fragen, doch sottige-wie-mich fragt man nicht, weder vorher noch sonst wann. Man betreut sie, wohlwollend. Gälledsi. Und wieder bin ich das kindhafte Monster… Schon bald kann ich nicht mehr unterscheiden, welche Fragen die Dame der Untersuchung wegen stellt und welche auf Neugier beruhen. Wer spricht hier von Anteilnahme? Sagte jemand „Anteilnahme“? Das soll Anteilnahme sein? *Einen Teil nehmen* wäre etwa, mit mir ins Theater zu gehen, weil es ebenfalls interessiert, was auf der Bühne gespielt wird. Es wäre auf jeden Fall etwas Aktives. Nicht bloss quasselnder Singsang. Nach einer Pause platzt sie los mit „Ich ha denn im Fall eckei Verbaarme, gälledsi, Verbaarme isch nöd guet!“ Da ist mir der Arzt lieber, der irgendwie gar nichts sagt, nachdem ich die genetische Groteske erwähnt habe, meine Hand komisch linkisch in seine beiden nimmt und dunkel schaut und mir alles Gute wünscht.

Heute Nacht um 12 wurde ich umgelagert. Zu Hause brauche ich nicht umgelagert zu werden, weil mein Bett breit ist und ich mich nachts in Frieden wälzen kann. Die Tür zu meinem Zimmer wird nicht geöffnet, nein, die Nachtschwester fällt mit der Tür ins Zimmer. RRRPENG. Irgendwann, nachdem die Dame verstanden hat, dass ich mit ihr nicht plaudern mag, wird die Tür – nicht geschlossen, sondern geschlenzt. Um 2 wieder RRRPENG. Die Bettdecke wird gehoben, es zieht kalt rein, es wird geschaut, ob meine Fersen rot sind. ALS OB DAS IN DER DUNKELHEIT ZU SEHEN WÄRE. Ich bin 44 Lenze jung und hatte noch nie rote Fersen. Hier kontrolliert man das gleich zweimal pro Nacht. Ab 2 kann ich also nimmer schlafen. Ich muss sogar läuten, weil jetzt meine Füsse abgedeckt sind. Madame kann nämlich nicht mal richtig zudecken. Ich staune, wie laut ich sprechen kann. Sie solle nicht noch ein zweites Mal kommen, nur, NUR, wenn ich läute. Sie will nicht. Sie hat Angst. Ich liege im Bett, Licht vom Gang scheint ins Zimmer (nicht das Licht der Gnade), die Dame ist zerrissen zwischen ihrer Pflicht und meinem Wunsch. 20 Minuten später kommt sie noch einmal, um den Teekrug zu holen, der sonst um 6 geholt würde. Der wird um 6 nicht geholt, dafür wird einer gebracht. Seitdem zuzelt und ploppt es in meinem Zimmer. Um 7 holt eine Griechin einen Lehnstuhl, der mir seit zwei Wochen als Kleiderablage dient, und kämpft sich sachte durch Nachttischli, Rolli, Tischli, noch einen Stuhl, Kabel. Gegen 9 wird ein Tamile ihn zurückbringen. Um 9.15 bringen zwei junge Frauen meinen Wickel. Die Putzfrau dürfte Inderin sein, sie kommt erst so um 10. Danach ist Visite, die erwischt mich beim Waschen. Danach sollen gleich zwei Lernende zusehen, wie mir Pflegerin X mit dem Rutschbrett hilft.

Ich kann mir nicht helfen. Sie sind echt alle nett, aber es sind einfach zu viele. Man kann mir nicht helfen. Man könnte mir doch helfen, wenn man nicht so eine fürchterliche Ungeheuerlichkeit bauschte aus meiner Existenz. „Ist eben Spitalalltag“ höre ich flüstern. „Okay“, flüstere ich zurück, „und ich finde ihn immer noch schrecklich…“

Eine Schneeflocke gestern auf meiner Wange. Schwester S fügt an ihr „bitteschön“ noch ein „gern geschehen“.

Auch der Wunsch einer Freundin ging in Erfüllung. Da erwies sich einer wirklich als Weihnachtsengel… Na, eigentlich vier. Fünf. Einige Pflegerinnen wären wundervolle Assistentinnen, auch die junge Physiotherapeutin. Wenn der eigenartige Knopf einmal gelöst ist und das Menschenband mit mehr Vertrautheit geglättet ist, wird alles ganz normal. Speziell halt, aber normal. Mit diesem Widerspruch lässt sich leben.

Deshalb will ich nicht ins Spital / in die Reha (abgesehen vom unmittelbaren physischen Grund):

  • Bei einem Eintritt muss meine Begleitperson erst einmal den anwesenden medizinischen Fachpersonen sagen, man möchte mich doch bitteschön jeweils ausreden lassen, mich nicht unterbrechen und mir nicht die Worte aus dem Mund nehmen, schon gar nicht, wenn sie überhaupt nicht dort lagen (z.B. meine angefangenen Sätze so beenden, wie geglaubt wird, sie enden, doch ich wollte eigentlich was anderes sagen). Später werde ich es immer wieder wiederholen müssen, weil Ungeduld und „Fachwissen“ einfach zu gross sind (aber es meinen’s ja alle nur gut).

  • Ich werde mental total unterschätzt, sprich: für doof gehalten. Dabei bin ich diejenige, die kaum intellektuelle Partner findet.

  • Physisch werde ich falsch ein-, meist unterschätzt: Was ich selber machen kann, darf/soll ich aber nume wänn öpper debii isch tun.

  • Ich kann nicht in Ruhe schlafen, und wenn, dann nur, weil es der Arzt abgesegnet hat (wie so ungefähr alles). Es ist die alte Leier der Bevormundung. Mein Wort gilt nichts.

  • Meinen Rhythmus kann ich nicht leben.

  • Ich bin nicht bloss viel, sondern viel viel viel viel viel viel unselbständiger als in meiner eigenen Wohnung und muss viel viel viel viel viel viel mehr Hilfe haben als zu Hause. Mit den ganzen ganzen ganzen Nachteilen, die „professionelle“ Helfende haben. Meine Assistenten sind nicht da!!

  • Um mich sind unglaublich viele Leute. Ganz persönlich halte ich das nicht aus.

  • Kafka ist nicht da. Und Kafka hat mich nicht da.

  • Das Bett ist zu klein.

  • Ich muss vorgängig eine immense Organisation auf mich nehmen: Assistenten/Therapeuten/Ärzte/Freunde informieren, Kafkas Betreuung koordinieren, Termine verschieben und so weiter und so fort.

  • Ins Krankenhaus muss ich, weil ich krank bin. Dann kommt die Genesung und mit ihr der Punkt, an dem das Krankenhaus mich krank macht! Eine weitere Genesung wäre zu Hause ohne weiteres denkbar (etwa, wenn die Physiotherapeutin oder der Physiotherapeut nach Hause käme). Es ist ein Balanceakt und es kann nicht angehen, dass ich, die diesen Punkt erfühle, ihn signalisieren kann, so viel ich will – er muss durch eine Fremdperson (die Ärztin oder den Arzt) abgesegnet werden. Wär vielleicht auch dem BSV ein paar Überlegungen wert, nicht wahr, Stichwort Kosteneinsparung im Gesundheitswesen…

  • Was Verrichten der Notdurft für jemanden, der nicht gehen kann, bedeutet, ist für Menschen, die gehen können (etwa Neurologinnen), vollkommen unvorstellbar. Die vollendetste Scham gibt sich hier die Ehre (selbst, wenn Engel 2 „das“ jeden Tag tut, zigmal, dabei helfen...). Rollstuhl-WCs – sofern es sie gibt – sind für mich nie managebar – Sitz zu tief, zu hoch, Klopapier in bescheuerter Ferne, Haltegriffe jenseits aller Denkbarkeiten, keine Lehne und so weiter und so fort, der Idiotie der Designer sind keine Grenzen gesetzt. Auch in Reha-Zentren. Auch in Spitälern.

  • Ich bin nur allgemeinversichert. In einem 1er-Zimmer schon gelten alle oben aufgeführten Punkte. In einem 4er-Zimmer habe ich ja keine einzige Sekunde Ruhe mehr!

Ich bin unendlich glücklich, dass meine Krämpfe weg sind, dass ich weiss, was ich alles zu ändern und zu beachten habe, und wie ich im Fall der Fälle mit derartigem Unfug meiner Physis umgehen kann.