28.9.08

Unendliche Geschichte – Teil IV:

Was du nicht willst, das man dir will, das willst auch kein’m – was willst’nn du?“ (Frei nach Otto Waalkes. Zu erkennen ist hier allerdings sehr wohl ein Ansatz des kategorischen Imperativs!)

Um es vorweg zu nehmen: Die Armbanduhr wurde repariert, das Fixnetztelefon heisst „Foni“ und kann sogar SMSen, das neue Schwedentörtchen ist TV-tauglich und der neue Drucker (den ich kaufen musste, weil mein Reibach Uralt nicht Vista-kompatibel ist) kann auch bunte Fötteli drucken. Die Wanduhr tickt wieder richtig und der neue Laptop gehört nicht zu der von Sony wegen falscher Verkabelung und resultierender Verbrennungsgefahr zurückgerufenen Serie. Hätt ja wirklich sein können. Dass ich mich verbrenne, sowieso. Doch das hab ich vor drei Monaten schon ausgiebig getan und vielleicht wird es den diversen boshaften Geistern auch irgendwann zu langweilig. Schliesslich haben sie sich genug amüsiert, als ich mir am neuen Schottenrock, den ich seit Januar 2008 bekommend bin, den Daumen blauquetschte. Vor ein paar Tagen kletzelte ich den letzten Rest Nagel ab und feile nun an der Resthässlichkeit rum.

Kommunikation also. Die am Albis. Ein Versuch:

Es gibt Dinge, die sich ganz und gar ausschliessen. Licht und Dunkelheit etwa, dieses Paar des ersten Schöpfungstages. Himmel und Erde. Wo das eine ist, kann das andere nicht sein. Entgegengesetztes.

Dann gibt es die Spezifizierungen, die diese Oppositionen bekräftigen, etwa totale Dunkelheit und helles Licht und solche, die imstande sind, diese Pole zu entkräften oder einander näher zu bringen, vielleicht erlöschender Himmel und dunkle Erde. Ach, das erinnert mich an Zeiten, als ich stundenlang über solchen Sätzen brütete, nur um sie wieder zu löschen, weil sie fehlerhaft sind, weil Tiefe fehlt, weil sie widerlegbar sind… Doch ich hoffe, dass Sie, geneigte Leserin, geneigter Leser, wissen, was hier gemeint ist. Gräuliches Schwarz. Schmutziges Weiss. Fassbare Weite. Zarte Nähe. Krieg und Frieden. Feuer und Wasser. Schalke und Dortmund.

Wissen Sie, ich stehe vor einem Phänomen, wofür mir eine sogleich erhellende, verdeutlichende Parallele fehlt. Behinderung scheint nämlich in Opposition zu ganz vielem zu stehen, beispielsweise zu Selbstbehauptung oder Durchsetzungsvermögen, nicht bloss zu einem einzigen Begriff, etwa Geschlechtlichkeit (räusper). Es kommt zudem auf den Kontext und auf die Perspektive an. So ist für manch einen Menschen mit Behinderung eine Qualität wie Selbstbehauptung etwas völlig Reales, während die Kombination Behinderung und Selbstbehauptung für manche Personen von zweifelhafter Autorität, beispielsweise Ärzte oder Beamte, irgendwie unvorstellbar ist und deshalb klar in Opposition stehen. Freundliche Selbstbehauptung stellt nun eine Spezifizierung dar, die so manche und manchen vollends aus dem Gleichgewicht bringt.

Machen Sie sich erst einmal unbeliebt, dann werden Sie auch ernst genommen“ meinte Konrad Adenauer.

Traurig! Und wie so vieles Traurige: wahr.

Dabei war ich gewiss alles andere als unfreundlich, als ich für die Orthopädie in schriftlicher Form festhielt, was ich monatelang lediglich mündlich erbeten hatte und dabei stets abgewimmelt wurde, nenei das isch scho guät so und jo wüssed Si am Schluss flutscht da dänn scho und jetzt flutscht aber rein gar nichts. Gott, wie liebe ich doch Fachleute und alle, die wissen, wie’s geht. Mündlich, freundlich, erfolgreich – Begriffe, die sich ausschliessen. Scheinz. Erfolgreich meine ich ganz unschuldig in dem Sinne, dass meine Wünsche gehört, ernst genommen und meiomei sogar umgesetzt werden! Von blond und Frau und erfolgreich will ich ja nicht reden, geschweige denn von blond und Frau und behindert und erfolgreich…

Als ich dann noch mit Argumenten, die ich mir keineswegs aus den Fingern gesaugt hatte, die selbstgefälligen, nichts spezifizierenden, nichts erklärenden Behauptungen aus dem Schreiben der Orthopädie relativierte, kam glatt das ganze Bad mit dem Kinde ausgeschüttet auf mich zurückgeklatscht – „…haben wir nicht bemerkt, dass Sie so unzufrieden mit uns und unserer Dienstleistung sind. Insbesondere A.B. dachte, dass Sie einen guten Draht (…) gehabt hätten. (…) nehmen wir die Sitz- und Rückenschale kostenlos zurück…“ Als ob das der Punkt wäre!! Und ich steh wie der Esel vor dem Albis. Solange ich also mitlächle im Gutdrahtspiel ist alles in Butter, nur meine Anliegen bleiben hinter den sieben Bergen liegen. Lass ich die sechs freundlichen Zwerge meine Anliegen an den Mann tragen, so bleiben sie aussen vor liegen – schick ich den siebten, den grummeligen, Zwerg, dann wirft Mann mir vor, Spielverderberin zu sein. Dabei war ich noch nicht einmal grummelig! Hab lediglich drauf bestanden, dass meinen Bedürfnissen endlich Rechnung getragen wird. Vielleicht auch kein Wunder, dass meine Persistenz als Unzufriedenheit interpretiert wird. Wäre meine unflätigen Wünsche nach rutschfähigem Material zum drauf Sitzen und Ausgleich der Beckenstellung von Anfang an Rechnung getragen worden, müsste ich nicht immer und immer wieder nachhaken. – Aber wieso lasse ich mich auch nicht gutdrahtig ruhigstellen, wie sich das für eine brave Behigrhmpf gehört. Was muss ich auch eine Sottige-wie-ich sein. Lästig.

Ein Freund meinte kürzlich, ich sei am Kämpfen. Wenigstens sei das das Wort, welches meiner Tätigkeit (und der so manch anderer Leute mit meiner Perspektive) am Nächsten komme. – Eigentlich mag ich dieses Kriegsvokabular nicht. Mein Leben ist mein Leben und Komplikationen sind eingeplant, viele viele, fürchterlich viele Komplikationen, doch ich lebe mein Leben durch und geh vorwärts, wenn auch oft schneckenlangsam und kämpfe nicht gegen jemanden, sondern handle mit ihm oder ihr etwas aus. Versuche es wenigstens.

Möglicherweise sind ja aber alle meine Überlegungen kreuzfalsch. Schliesslich sprühte ich mir kürzlich Trockenshampoo statt Haarspray an die Birne und merkte es auch nicht, mein Date lachte sich halb krumm und mein Umwerfend-schön-sein-versuch zerstieb in weissen Schuppen. Werde ich bloss alt und in meiner Wahrnehmung verknöchert?

Dann kommt Ellen und lässt ein Lichtlein bei mir aufgehen. Sie schreibt mir was von einem Mediationsschlussbericht, den sie noch zu schreiben habe und wegen dessen Fertigstellung sie mich diese Woche nicht sehen könne. Ich lese Meditationsschlussbericht und wundere mich zwar über den eigenartigen Begriff, denke aber nicht genauer drüber nach. Vielleicht ist ja das gerade der Punkt: Die Orthopädie liest, was sie sie lesen kann, was sie aus meinem Schreiben herauslesen kann. Nämlich, dass ich unzufrieden bin. Wahrscheinlich liest sie das, weil sie irgendwo ja weiss, dass ich Grund habe, unzufrieden zu sein. So falsch nicht… - Umgekehrt suche ich nach Anzeichen dafür, dass sich die Orthopädie über meine Wünsche und Anliegen hinwegsetzt, weil ich fraublondbehindert bin. Dabei ist die Orthopädie wahrscheinlich nichts als ein ganz normaler schweizerischer Dienstleistungsbetrieb mit unzulänglicher Kommunikation und der Auffassung, ein Kunde oder eine Kundin solle doch bitteschön nämlich froh sein, wenn man sie oder ihn bedient. Auch nicht so falsch…?

Jedenfalls ist die Kommunikation am Albis. Gefühle werden aufs Gegenüber projektiert und darauf wird dann beleidigt oder gekränkt oder dreiunddreissigmal zu nachdenklich reagiert.

Immerhin folgt jetzt doch noch ein Teil V der unendlichen Geschichte, weil ich jetzt nämlich in der Gegenwart angelangt bin und selbst noch nicht weiss, wie’s weitergeht. Aber – smile! – liebe Leserin und lieber Leser – wir werden uns schon durchsetzen…

(Fortsetzung folgt)