4.12.07

Warum ein Spitalaufenthalt auch noch schlimm ist

Die Worte, die an mich geraten, fressen mich auf, und doch bin ich dann noch da. Die Worte, die nicht aus mir kommen, essen mich auf, und noch immer bin ich da.

Die Art des Satzes hab ich von Herta Müller geklaut, der neuen Dozentin für Poetik an der Universität Zürich. Worte können schmerzen wie wahrhaftige Schläge, brennen wie Spritzen in geschundene Beine. In der Tat finden Worte ihre eigentliche Bedeutung in einem Vergleich, in etwas ganz anderem. Sie werden zu diesem anderen.

Zwei Wochen Krankenhaus.

Ins Röntgen wurde ich gerollt – im Bett, wohlgemerkt, wo ich seit 13 Tagen schon lag. Eine Dame kam, die man sich, so auf den ersten Blick, gut hinter einem Stand auf dem Gemüsemarkt vorstellen kann („vegetable condition“ nennt man in der Tat den Zustand von Gehirntoten, dem ich wiederum näher war als sie). „Frau Isak, chönnd Si uufstoh?“ – Ich mach grosse Augen und japse „äh, nein…“ – und dann folgt glatt „Wieso nöd?“ – Indeed die Sensibilität einer Gabelstaplerfahrerin. Ich fuchtle mit meinen ataktischen Armen und da scheint ihr was zu dämmern. Mein Vater meinte später, ich hätte doch sagen sollen, ich sei sturzbesoffen und könne eben nimmer stehen. Aber die geneigte Leserin weiss ja, was für ein Ekel ich bin und was ich mir alles einfallen lasse, um unschuldige Leute zu ärgern. Zum Beispiel stehe ich aus lauter Boshaftigkeit nicht aus dem Spitalbett auf – oder schreibe einen Text im Blog.

Zwischen sieben und halb neun 12 verschiedene Menschen in meinem Zimmer. Einzel, obschon ich nur allgemeinversichert bin. Ginge rein logistisch gar nicht anders. Mit meinem Rolli komm ich trotzdem nicht in „mein“ WC-Kabinchen (übrigens *gibt* es hier *kein* Rollstuhl-WC – ja ja!! In einem Krankenhaus!!). Fremde Menschen sehen mich auf dem Nachtstuhl sitzen. Schwester A wäscht meine linke, Pflegerin B meine rechte Achsel. Telefongeklingel, Tür auf, Tür zu, jetzt sogar ein Mann. Unnötig, Tee zu bringen, wenn ich oben ohne bin. Wie er nicht schaut. Und wie alle aber schauen, als hätte ich ausgesuchte Kleider an, sässe in einem Hotelfauteuil, stünde ganz kompetent. – Also was hab ich eigentlich? Bild ich mir die Grenzüberschreitungen, welche auf die übelstnotwendigen gestülpt werden, bloss ein? Ich bin schon längst nicht mehr in meinem Körper. Dieser stürbe. Verwirrt, beschämt, meine Seele hat Erbarmen mit meinem Leib.

Alle lächeln. Das ist das Schrecklichste. Nichtlächeln ist auch schrecklich.

Ich brauche Wortlosigkeit und Abwesenheit am Morgen.

Ein Schangli begleitet mich zu einer Untersuchung. Der leitende Arzt nimmt Schanglis nicht wahr. Schanglis sind unten, leitende Ärzte oben. Hierarchie. Der leitende Arzt bringt meinen Rücken in Ordnung. Schangli lobt mein Geradefahren. - Ich studierte mal, habe einen akademischen Titel. Ein Kroate oder Serbe oder Slowene lobt mich nun, in gebrochenem Deutsch, dafür, dass ich nicht in den Türrahmen donnere. Soll ich ihn dafür loben, wie gut er einen Fuss vor den andern setzen kann? Tu ich nicht, bin ja nicht unverschämt. Schwester C lobte mich heut morgen fürs Stehenkönnen ( = über der Bettkante Hängen). Total nett, ehrlich. Soll ich jetzt zurückloben, wie schön normal sie sprechen kann? Bin doch nicht absurd. – Aber sie meinen es ja nur gut. Also muss ich schlecht sein, wenn ich dann so schlechte Gedanken und Gefühle habe. Kinder denken so. Ich bin hilfloser als ein Kind. Monströs, ihr Gutmeinen so total beleidigend (d. h. mir ein Leid zufügend) zu empfinden. Behindert und schlecht. Unschuldig und lieb. Lächelnd und absurd. Freundlich und beleidigend. Perspektiven flimmern. Ethik feixtanzt.

Würde“??? Hier wohl eher der Konjunktiv 3. Person Sg (Singular, nicht Sankt Gallen) von „werden“.

Aus dem Untersuchungsraum tritt eine sehr zentraleuropäisch aussehende Frau. Sie nähert sich unangenehm nah und kaudelwelscht „Sie noch können warten einen Moment?“ Ihre Gesichtsmuskeln kauen die Worte. Ich stutze. „Sie hier gut?“ Jetzt frage ich sie, ob sie Schweizerin sei. Diesmal ist sie es, die stutzt. Bejaht aber „wärumm?“. Wieso sie dann so komisch spreche? „Aaaahahahahihihi wüssed Sie ich ha gmeint Si verstönnd mich nöd! Jo denn isch jo alles keis Probleeem!“ – Ich spreche zu langsam und zu leise, um den Satz formulieren zu können Sie müssen eben *wissen*, nicht meinen! – Um etwas derartiges zu wissen, muss man freilich vorher fragen, doch sottige-wie-mich fragt man nicht, weder vorher noch sonst wann. Man betreut sie, wohlwollend. Gälledsi. Und wieder bin ich das kindhafte Monster… Schon bald kann ich nicht mehr unterscheiden, welche Fragen die Dame der Untersuchung wegen stellt und welche auf Neugier beruhen. Wer spricht hier von Anteilnahme? Sagte jemand „Anteilnahme“? Das soll Anteilnahme sein? *Einen Teil nehmen* wäre etwa, mit mir ins Theater zu gehen, weil es ebenfalls interessiert, was auf der Bühne gespielt wird. Es wäre auf jeden Fall etwas Aktives. Nicht bloss quasselnder Singsang. Nach einer Pause platzt sie los mit „Ich ha denn im Fall eckei Verbaarme, gälledsi, Verbaarme isch nöd guet!“ Da ist mir der Arzt lieber, der irgendwie gar nichts sagt, nachdem ich die genetische Groteske erwähnt habe, meine Hand komisch linkisch in seine beiden nimmt und dunkel schaut und mir alles Gute wünscht.

Heute Nacht um 12 wurde ich umgelagert. Zu Hause brauche ich nicht umgelagert zu werden, weil mein Bett breit ist und ich mich nachts in Frieden wälzen kann. Die Tür zu meinem Zimmer wird nicht geöffnet, nein, die Nachtschwester fällt mit der Tür ins Zimmer. RRRPENG. Irgendwann, nachdem die Dame verstanden hat, dass ich mit ihr nicht plaudern mag, wird die Tür – nicht geschlossen, sondern geschlenzt. Um 2 wieder RRRPENG. Die Bettdecke wird gehoben, es zieht kalt rein, es wird geschaut, ob meine Fersen rot sind. ALS OB DAS IN DER DUNKELHEIT ZU SEHEN WÄRE. Ich bin 44 Lenze jung und hatte noch nie rote Fersen. Hier kontrolliert man das gleich zweimal pro Nacht. Ab 2 kann ich also nimmer schlafen. Ich muss sogar läuten, weil jetzt meine Füsse abgedeckt sind. Madame kann nämlich nicht mal richtig zudecken. Ich staune, wie laut ich sprechen kann. Sie solle nicht noch ein zweites Mal kommen, nur, NUR, wenn ich läute. Sie will nicht. Sie hat Angst. Ich liege im Bett, Licht vom Gang scheint ins Zimmer (nicht das Licht der Gnade), die Dame ist zerrissen zwischen ihrer Pflicht und meinem Wunsch. 20 Minuten später kommt sie noch einmal, um den Teekrug zu holen, der sonst um 6 geholt würde. Der wird um 6 nicht geholt, dafür wird einer gebracht. Seitdem zuzelt und ploppt es in meinem Zimmer. Um 7 holt eine Griechin einen Lehnstuhl, der mir seit zwei Wochen als Kleiderablage dient, und kämpft sich sachte durch Nachttischli, Rolli, Tischli, noch einen Stuhl, Kabel. Gegen 9 wird ein Tamile ihn zurückbringen. Um 9.15 bringen zwei junge Frauen meinen Wickel. Die Putzfrau dürfte Inderin sein, sie kommt erst so um 10. Danach ist Visite, die erwischt mich beim Waschen. Danach sollen gleich zwei Lernende zusehen, wie mir Pflegerin X mit dem Rutschbrett hilft.

Ich kann mir nicht helfen. Sie sind echt alle nett, aber es sind einfach zu viele. Man kann mir nicht helfen. Man könnte mir doch helfen, wenn man nicht so eine fürchterliche Ungeheuerlichkeit bauschte aus meiner Existenz. „Ist eben Spitalalltag“ höre ich flüstern. „Okay“, flüstere ich zurück, „und ich finde ihn immer noch schrecklich…“

Eine Schneeflocke gestern auf meiner Wange. Schwester S fügt an ihr „bitteschön“ noch ein „gern geschehen“.

Auch der Wunsch einer Freundin ging in Erfüllung. Da erwies sich einer wirklich als Weihnachtsengel… Na, eigentlich vier. Fünf. Einige Pflegerinnen wären wundervolle Assistentinnen, auch die junge Physiotherapeutin. Wenn der eigenartige Knopf einmal gelöst ist und das Menschenband mit mehr Vertrautheit geglättet ist, wird alles ganz normal. Speziell halt, aber normal. Mit diesem Widerspruch lässt sich leben.

Deshalb will ich nicht ins Spital / in die Reha (abgesehen vom unmittelbaren physischen Grund):

  • Bei einem Eintritt muss meine Begleitperson erst einmal den anwesenden medizinischen Fachpersonen sagen, man möchte mich doch bitteschön jeweils ausreden lassen, mich nicht unterbrechen und mir nicht die Worte aus dem Mund nehmen, schon gar nicht, wenn sie überhaupt nicht dort lagen (z.B. meine angefangenen Sätze so beenden, wie geglaubt wird, sie enden, doch ich wollte eigentlich was anderes sagen). Später werde ich es immer wieder wiederholen müssen, weil Ungeduld und „Fachwissen“ einfach zu gross sind (aber es meinen’s ja alle nur gut).

  • Ich werde mental total unterschätzt, sprich: für doof gehalten. Dabei bin ich diejenige, die kaum intellektuelle Partner findet.

  • Physisch werde ich falsch ein-, meist unterschätzt: Was ich selber machen kann, darf/soll ich aber nume wänn öpper debii isch tun.

  • Ich kann nicht in Ruhe schlafen, und wenn, dann nur, weil es der Arzt abgesegnet hat (wie so ungefähr alles). Es ist die alte Leier der Bevormundung. Mein Wort gilt nichts.

  • Meinen Rhythmus kann ich nicht leben.

  • Ich bin nicht bloss viel, sondern viel viel viel viel viel viel unselbständiger als in meiner eigenen Wohnung und muss viel viel viel viel viel viel mehr Hilfe haben als zu Hause. Mit den ganzen ganzen ganzen Nachteilen, die „professionelle“ Helfende haben. Meine Assistenten sind nicht da!!

  • Um mich sind unglaublich viele Leute. Ganz persönlich halte ich das nicht aus.

  • Kafka ist nicht da. Und Kafka hat mich nicht da.

  • Das Bett ist zu klein.

  • Ich muss vorgängig eine immense Organisation auf mich nehmen: Assistenten/Therapeuten/Ärzte/Freunde informieren, Kafkas Betreuung koordinieren, Termine verschieben und so weiter und so fort.

  • Ins Krankenhaus muss ich, weil ich krank bin. Dann kommt die Genesung und mit ihr der Punkt, an dem das Krankenhaus mich krank macht! Eine weitere Genesung wäre zu Hause ohne weiteres denkbar (etwa, wenn die Physiotherapeutin oder der Physiotherapeut nach Hause käme). Es ist ein Balanceakt und es kann nicht angehen, dass ich, die diesen Punkt erfühle, ihn signalisieren kann, so viel ich will – er muss durch eine Fremdperson (die Ärztin oder den Arzt) abgesegnet werden. Wär vielleicht auch dem BSV ein paar Überlegungen wert, nicht wahr, Stichwort Kosteneinsparung im Gesundheitswesen…

  • Was Verrichten der Notdurft für jemanden, der nicht gehen kann, bedeutet, ist für Menschen, die gehen können (etwa Neurologinnen), vollkommen unvorstellbar. Die vollendetste Scham gibt sich hier die Ehre (selbst, wenn Engel 2 „das“ jeden Tag tut, zigmal, dabei helfen...). Rollstuhl-WCs – sofern es sie gibt – sind für mich nie managebar – Sitz zu tief, zu hoch, Klopapier in bescheuerter Ferne, Haltegriffe jenseits aller Denkbarkeiten, keine Lehne und so weiter und so fort, der Idiotie der Designer sind keine Grenzen gesetzt. Auch in Reha-Zentren. Auch in Spitälern.

  • Ich bin nur allgemeinversichert. In einem 1er-Zimmer schon gelten alle oben aufgeführten Punkte. In einem 4er-Zimmer habe ich ja keine einzige Sekunde Ruhe mehr!

Ich bin unendlich glücklich, dass meine Krämpfe weg sind, dass ich weiss, was ich alles zu ändern und zu beachten habe, und wie ich im Fall der Fälle mit derartigem Unfug meiner Physis umgehen kann.

2 Kommentare:

Anonymous Anonym sagte...

So stelle ich mir SPITAL vor! Nur ein kleiner Protest: Nicht Engel nennen. Ich bin kein geisterhaftes Wesen. Absolut fleischlich! Wie sie schrieben, professionell mit allen Vor- und Nachteilen.
Erstaunlich; Menschen, die im Spital arbeiten kennen die Menschen nicht. Sie betreuen Dinge, Dinge, die keine Wahl haben. Sie waren für uns eine Herausforderung Frau Iser, für mich eine höchst Intensive und für andere eine äusserst schwierige. Alles nur Perspektiven, Grenzen überschreiten erweitert sie nicht sonder verletzt Eigenes und Fremdes. Nadja Lüthi

01 Januar, 2008 04:49  
Anonymous Anonym sagte...

Interessant!

10 Februar, 2010 07:12  

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