11.2.07

Unterbruch

Das war jetzt eine entschieden zu lange Pause seit meinem letzten Blogeintrag. Gozzeidank setzt mir hier keiner eine Frist von zehn oder zwanzig oder 31 Tagen netto oder pestert mich mit Anrufen, wo denn mein Fragebogen sei (den abzuschicken ich am letzten Tag der Frist die Stirn hatte, und dann erst noch mit B-Post). Ein Ereignis, das sich etwa so abspielte:

Anruferin (eine junge Frauenstimme): Jo grüezi, ich lüütenaa im Uuftrag vo de… [hier hörte ich bereits nicht mehr hin und konstruierte schon die passende Antwort dahingehend, dass man mich nicht auch noch auf dem Handy mit Werbe- und Umfrageanrufen belästigen soll] … … Pilotprojäckt… … öb Si de Froogebogä nöd bis am … iischicke chönnted.

Ich: Ja den habe ich vorgestern abgeschickt.

Lange Pause

A: Ich lüütenaa im Uuftrag vo de…

Ich: Ja ich hab Sie schon verstanden, vor zwei Tagen habe ich das schon gemacht!

Wieder Pause, aber nicht mehr so lang

A: Ich lüütenaa im Uuftrag vo de…

Ich: Haaaaaalloo! Haaaaaaalloo!! Stopp stopp stopp stopp!! – Ich – hab – den – Fragebogen – vorgestern – abgeschickt – …

A: Ah dänn isch jo guet…

[Höfliche, erleichterte, freundliche Abschiedsfloskeln]

Dass man mich nicht gut versteht und schon überhaupt nicht gut versteht, wenn man mich noch nie gesehen hat, weiss ich ja, versteh ich ja. Dass ich mich nicht des Schwiizerdüütschen bediene, erleichtert diesen Umstand auch nicht grad. Dass ich es sagen soll, wenn ich etwas brauche, hab ich schon myriadenfach gehört und weiss es ebenfalls (wenngleich nicht deswegen). Dass das aber nur für mich zu gelten habe, versteh ich wirklich nicht. Echt nicht. Weshalb ist es so unermesslich schwierig, mir zu sagen „Entschuldigung, ich hab Sie nicht verstanden, können Sie das bitte noch einmal sagen?“. Nein, der Spiess wird umgedreht, denn es wird davon ausgegangen, dass ich Doofie nichts verstanden habe. Sogar hier im Pilotprojäckt. Dass Höflichkeit und Freundlichkeit den Ton angaben, tut in diesem Zusammenhang nichts zur Sache. – Ach, ich werd wieder zynisch. Eine kürzlich verlorene Freundin würde sagen, ich klinge so verbittert. Sie weiss nicht, wie es sich anfühlt, solchem Unverstand (Unverständnis?), ja schierer Umdrehung, der Sachverhalte wieder und wieder zu begegnen. Wieder und wieder und wieder und wieder und wieder und wieder und wieder und wieder und wieder und wieder und wieder und wieder und wieder und wieder und wieder und wieder und wieder und wieder und wieder und wieder und wieder und wieder und wieder und wieder und wieder und wieder und wieder und wieder. Wie nicht anders zu erwarten: Das ermüdet. Was nicht das Selbe ist wie: Es verbittert mich. Ach, es ödet nur an. Langweilt. Ist zum Hörer Aufhängen.

Doch ich drifte ab. Zu meiner langen Pause:

Irgendwann Anfangs Dezember klemmte ich mich hinter Annes Festanstellungsvertrag. BVG. Krankentaggeld. E-Mail, Anfrage, Formulare, Unterschriften, knapp 348'764 ungefähr. Paritätskommission (1 Arbeitgebervertreterin: ich – 1 Arbeitnehmervertreterin: Anne). Police, Rückfrage, Korrektur: nächstes Formular. Usw. Reprint.

Dann Weihnachten. Mit Geschenken und allem. Das will ja auch organisiert sein... Längst sind sie vorbei, die Zeiten der Unbeschwertheit beim Frohen Fest…

Dann schlich ich mich an die vom Pilotprojäckt vorgeschlagene Lohnabrechnung an und wägte ab: Was gibt mehr zu tun, die eigene, vor einem Jahr von Händsche gelismete Lohnabrechnung zu ändern oder alle Arbeitsverträge neu zu schreiben? So rechne, rechne und rechne ich und schreibe um: Saras Arbeitsvertrag, Corinnes Arbeitsvertrag, Matteos Arbeitsvertrag, Filomenas Arbeitsvertrag und gestalte die Lohnabrechnung für alle. Für alle berechne ich die Lohnnebenkosten. Korrigiere sie. Korrigiere sie wieder. Und noch einmal… Ich sitze und rechne und veranschlage.

Und dann Prosit Neujahr!

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Hinter den Papierhaufen raschelte geheimnisvoll die Jahreslohnabrechnung. Es stritten sich zischelnd die Lohnausweise mit den Arbeitsrapporten. Lustig flitzte die Kopie einer Beitragsverzichtserklärung um die Ecke und landete frech auf dem Januarfragebogen des Projäckts, den wir, worauf wir nie, auf gar keinen Fall, ja nicht in Hundert Jahren! von alleine gekommen wären, in mehreren Arbeitsgängen ausfüllen würden. Zwischen diesen Arbeitsgängen marschierten die tapferen Unterschriftenbögen fürs Referendum gegen die 5. IVG-Revision auf, warfen sich mutig, paradox, in die Schlacht um die Revision der Ergänzungsleistungen, über deren Glanz zögerlich, doch unausweichlich, die Morgenröte der Steuererklärung aufzog.

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Das lustige Zigeunerleben nimmt sich traurig aus im Vergleich zum Jahreswechselleben eines Arbeitgebers! Ausserdem wirft diese Geschichte auf wundervolle Art und Weise einen Blick auf Verständnis bzw. Missverständnis des Begriffs Behinderung: Behinderung ist nicht das, was unsereins an Beinen, Armen, Augen oder weissnichtwo fehlt, sondern das, was einem – egal, wie man nun ausschaut – unnötigerweise zwischen „die Beine“ geknüppelt wird. Wie etwa eine unsäglich verkomplizierende Bürokratie.