30.7.06

Schrift an der Wand

Vorvorestern in der Gluthitze des Nachmittags, zwischen den Einkäufen, blieb ich vor einem Schild stehen und stapelte Phantasien um Assistenz und Hilfe und Betreuung und einst und jetzt. Mit fast explodierendem Kopf fuchtelte ich nach Matteo, er möge lesen. Für Zutritt zu den Behandlungsräumen bitte Assistenz erfragen stand da, neben Rollisignet und Pfeilchen für ums Eck. Matteo wunderte sich über meine Nachdenklichkeit. Er ist eben noch neu… Ich war gerade auf einer Reise in eine neue Galaxie. Nicht auf einen neuen Planeten, nicht in ein anderes Sonnensystem… nein, noch weiter.

Gewöhnlich ist eigentlich, dass da gar nichts steht. Oder genauer, dass ich erst gar nicht sehen kann, ob überhaupt und was da steht, denn im Grunde sind solche wie ich für irgendein Sehen ausserhalb von Heimwänden gar nicht wirklich vorgesehen. Also würde schon mal gestaunt, träte da jemand ein und spräche Dusse stoht mini Tochter/Schwöschter/Fründin im Rollschtuel und wett ine. Dann käme die Irgendwo-zwischen-70-und-90-Prozent-Jo-da-goht-nööd-Antwort (stets mit einem Bedauern, dem allein schon intensivste Betrachtung gebühren würde). Oder es würde ein hektisches Händeverwerfen beginnen mit Chani/sölli/mueni hälfe. Im optimalsten Fall mit dem Anhängsel wie denn geholfen werden soll. Dann käme ein oder kämen mehrere gutmeinende Verlader die Stufen runter, würden den Rollstuhl irgendwo irgendwie packen, mit fragendem Blick zu Mutter/Schwester/Freundin (bestimmt nicht zu mir), und bevor diese/diese/diese etwas sagen kann, würde die Ware (also der Rollstuhl – dass ich drin bin, ist ein bedauerlicher Nebenumstand) die Stufen rauf gepoltert und dann würde man, während ich mir die Haare aus dem Gesicht räume und bestürzt an meine Bandscheiben denke, feierlich erklären Isch jo ggange!

Ich drifte ab.

Also da stand bitte Assistenz erfragen. Nicht: Hilfe rufen oder für Hilfe hier klingeln. Es stand Assistenz. Und dann auch noch bitte erfragen. Höflich und stilvoll. Da wurde nicht an Sperrgut gedacht, sondern an Menschen. Jetzt eben Menschen halt mit Rollstühlen am Hintern statt mit Flip-Flops an den Füssen, Individuen, die man höflich anspricht, denen zweifellos Höflichkeit gebührt wie allen Individuen, denen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mehr Höflichkeit gebührt als anderen. Ein (anderer) Planet mit einer Atmosphäre namens Höflichkeit. Auch war nicht von Hilfe die Rede oder von Ungeheurlichkeiten wie Behindertentransport (für den es Sonderunternehmen braucht). Mich starrte nicht die Fratze des Kraftgefälles an (der könnende Helfende, der tatkräftige Transportierende, die dankbare Beholfene, die sachgemäss Transportierte). Das Zauberwort des fremden Sonnensystems hing bescheiden in der Sommerwärme. Zweitausendundsechs. Assistenz.

Fehlt der intergalaktische Reisende. Matteo hat keine Ahnung, dass das ja er ist! Mein Assistent! Wer bei mir ist, ist nicht meine Mutter/Schwester/Freundin, die mich aus Liebe/Pflichtgefühl/gutem Willen in ihrer Freizeit für Gottes Lohn betreuen, sondern Matteo, mein Assistent, der sich so ein paar Stunden was dazuverdient. Den ich für seine Assistenz bezahle. Also, nicht dass Matteo mich nicht mag, aber das ist nun wirklich eine andere Geschichte.

Meine Gedanken drehen sich um die Idee, ich könnt ja meinen Assistenten in die Behandlungsräume schicken, damit er Assistenz für seine Chefin erfrage. Was wären das für neue Töne! Mir kocht das Hirn. Bilder tauchen auf, von Bühnenaufbauen, die sich auf Knopfdruck heben und senken. Umwälzungen. Neue Verhältnisse. Verschobene Galaxien. Matteo der Götterbote vermittelt zwischen Galaxien! Wie heiss es ist! Wie die Sonne brennt! Mein Kopf droht zu zerspringen!

Doch auch diesmal hat Matteo die richtigen, das schwindlige Gefühl kühlenden Worte. Ob wir nicht zum Uhrmacher gehen? – Ach ja, richtig. Ich wollte ja gar nicht da rein…