9.8.06

Disput über dem Silbersee oder Die Heggsen auf dem Bloggsberg…

Himbeerromanze und Pflaumenschmarrn waren längst verdückt, als wir uns zum Nachhausegehen erhoben (also ich blieb freilich zum Nachhauserollen sitzen).

Ich: „Du kannst es drehen und wenden, wie Du willst. Ein schaler Nachgeschmack bleibt. Eine Schräglage. Egal, wie viele Familienväter heutezutage arbeitslos werden, wenn Du und ich gehen und uns um den gleichen Job bewerben, Du wirst ihn bekommen und ich nicht.“

Ellen: „Ja loogooo! Es ist einfach so! Schau, es ist einfach so. Es ist ungerecht, ja, es ist ungerecht, aber es ist so! In einer Zeit, wo völlig gesunde Leute ihren Arbeitsplatz verlieren, wo sich niemand den Aufwand, den finanziellen wie den sozialen Aufwand, leisten kann, jemanden mit Behinderung anzustellen, wenn halt hundert gesunde Leute den Job machen können, ist es einfach so.“

Die Pilze, die ich vorher gegessen hatte, riefen mir bereits das stille und stumme Männlein in Erinnerung, das im Wald steht. Dennoch will ich immer wieder scheu das Wort ergreifen oder aufnehmen. Denn es ist zweifellos so: Das Geld hat das Sagen. Die Finanzlage. Die Wirtschaftlichkeit. Die wirtschaftliche Machbarkeit. Die wirtschaftliche Zumutbarkeit. Geld. Geld. Unser Franken. Geld. Die Bäume des Waldes, in dem das Männlein mit dem Purpurmäntelein so allein steht, haben Geldscheine an den Zweigen und Menschen mit Behinderung sind selten Kinder des Herbstes.

Ellen: „Mach Vorschläge und zeig mit Zahlen, so und so und so: schaut her, auf diese Art und Weise können wir mit weniger finanziellem Aufwand das Gleiche oder sogar mehr erreichen. Dann wird das jossoffort! gemacht.“

Und auch das ist so. Was weniger kostet, wird umgesetzt. Was moralisch besser, ethisch klangvoller ist, wird nur umgesetzt, wenn es auch weniger kostet.

Ich überlege, dass ich auch mit Kartoffelpüree meinen Bauch vollgekriegt hätte. Dass es echten Kartoffelpüree gibt, und solchen aus dem Päckli. Dass auch echter, selbst gemachter Kartoffelpüree grauslich schmecken kann, wenn man ihn versalzt oder vermuskatet. Dass es Menschen gibt, die Kartoffelpüree über alles lieben, und solche, die sich mit Schaudern abwenden. Dass man immer von der Liebe spricht, mit der selbst Gemachtes besser schmecken soll. Es gibt liebevoll selbst Zubereitetes, und schludrig selbst Zubereitetes. – Mein Kalbfleisch hatte ganz vorzüglich geschmeckt – und entsprechend viel gekostet – oder verdient der Koch gar nicht so viel, kocht dafür mit Liebe – mit teuren Zutaten – Wirtschaft – Argumente – Hintergründe – notwendig – nicht notwendig – sinnvoll – Sparen – Geld…

Das Kalbsgeschnetzelte ass ich gerne… War es mit Liebe gekocht? Egal, es schmeckte ganz vorzüglich. Billig war es nicht.

Ich liebe Ellen. Sie sagt Sätze wie „In ein paar Jahren werden fast alle Läden zugänglich sein, aber wegen den Alten, von denen es immer mehr gibt, sicher nicht wegen den Behinderten!“ Wumm. Sie sagt auch „Es ist ungerecht, aber es ist so.“ Ist so, ist so, ist so (das sag’ jetzt ich). Ist so, auch wenn in der Bundesverfassung irgendwas von darf nicht oder soll nicht diskriminiert werden steht, in einem Paragraphen ganz am Anfang, wegen Rasse oder Glaubenszugehörigkeit oder Behinderung oder Geschlecht oder Status ‚Alleinerziehend’ oder Eigenschaft ‚Verliebt in einen Nichteuropäer’ und irgendwo steht dort auch Die Menschenwürde ist unantastbar und ich merke: Es ist ein sprachliches Problem!! Es ist ganz einfach die falsche Modalität! …Menschenwürde IST unantastbar stimmt gar nicht, richtig wäre SOLL unantastbar sein! Das Wortverfängnis um die Diskriminierung entbehrt der Nachsätze Leider ist es eben doch so und bleibt so, solange diese Minderheiten ihre Makel nicht attraktiv, höchst erstrebenswert und ultrabillig machen oder Aber die wirtschaftlichen Interessen gehen vor oder (Das glaubt ihr aber nicht im Ernst, oder?).

Freilich werden manche mir jetzt Verbitterung und Resignation nachsagen. Darum soll es aber nicht gehen, das soll nicht das Thema sein, mit dem von den aufgeworfenen Inhalten abgelenkt werden kann, das soll niemandem als Zielscheibe dienen. Dass es nicht so ist, ist hier nicht von Belang.

Silbern glitzert weit unter uns der Zürichsee. Ein Schatz liegt im Silbersee… Ich will fünf Millionen Euro. Dann gehöre ich zwar auch zu einer Minderheit – der Minderheit der Reichen – aber dann ist nicht mehr wichtig, ob und wie krank ich bin, ob ich eine Frau bin, ob ich einen mittellosen Puerto Ricaner heiraten möchte, ob ich für meine Kinder einen Platz im Hort bekomme und über die Frage der beruflichen Eingliederung kann ich nur mehr lachen (dass ich dann auch nicht mehr als „Behinderte“ bezeichnet würde, sei hier am Rande vermerkt).

Bitte noch ein Pflümli.