4.5.07

Übersetzungen

In so einem kurzen Text wie dem folgenden kann dieses Thema weiss der Himmel nicht abschiessend behandelt werden. Aus meiner (in schreiender Trauer bemerkt) schon Jahre zurückliegender Studienzeit tauchen Satzfetzen wie „wie viel soll man [über den Originaltext] wissen“ oder „Übersetzung ist Wieder-Dichtung oder Wiederhol-Dichtung oder Neudichtung“ auf.

Bekannt ist auch das Phänomen derjenigen Übersetzung, wo es nicht um zwei in hinlänglichem Wissen unterschiedliche Sprachen geht, wie etwa Deutsch und Japanisch oder Englisch und Französisch. Wir alle wissen um den Unterschied des umgangssprachlichen oder alltäglichen Deutsch einerseits und des Arbeitgeberdeutsch andererseits. So bedeutet eine Aussage wie „Frau Soundso erledigte ihre Arbeiten zu meiner Zufriedenheit“ in einem Abschlusszeugnis von mir als Assistenznehmerin und Arbeitgeberin soviel wie „Madame Blabla hat nur grad Dienst nach Vorschrift geleistet und das noch nicht mal mit Note 4 und ich bin froh, dass sie von meiner Bildfläche verschwunden ist“. Wohingegen „sie erledigt die Arbeiten zu meiner grossen Zufriedenheit“ in der Tat beinah wörtlich zu nehmen ist.

Ebenfalls bekannt ist der gesellschaftliche Kurzschluss, der unter der Bezeichnung der Political Correctness zu unverdaulichem Goldüberzug kam.

Dicke Menschen sind nicht dick, sondern horizontal herausgefordert, so wie kleine Menschen nicht klein(wüchsig) sind, sondern vertikal herausgefordert (bis heute ist keine Antwort bekannt, wie magersüchtige Menschen oder solche von ungewöhnlich grosser Körpergrösse zu bezeichnen sind, ganz zu schweigen von jenen, die im horizontalen Gewerbe täglich tatsächliche Herausforderungen zu meistern haben).

„Nach der Durchführung der Rechnungskontrolle wird die IV-Stelle keine Rückmeldungen vornehmen. Ausser es entstehen Fragen oder aufgrund der Reservenbildung müssen Betragsanpassungen vorgenommen werden.“

Teilnehmende am Pilotprojäckt Assistenzbudget kennen diesen Passus. Am Ende des Briefes mit der Aufforderung zum Einreichen von Lohnabrechnungen, SVA-Belegen und weiteren Quittungen zwecks einer (ersten) Rechnungskontrolle wird er einem in aller grammatischen Fehlerhaftigkeit mit voller Uneleganz ins Gesicht geschwartet.

Ich liebe Aussagen, bei denen sich die Sprecherin oder der Sprecher nicht das Geringste gedacht hat. Denn genau diese Sätze sind es, die eine zutiefst empfundene Haltung ausdrücken, eine, die derart eingeboren ist, dass sie das eigentliche Bewusstsein überhaupt nicht erreicht.

Um wieder jeglichen Angriffen und Drohungen auszuweichen, lassen Sie mich anführen, dass wir den Bereich der Übersetzungen verlassen und in ein neues, allerdings angrenzendes, Feld vordringen, nämlich das der

Interpretationen.

„…wird die IV-Stelle keine Rückmeldungen vornehmen.“ – Die gesamte zeitraubende, Energie raubende und zeitlich höchst aufwändige Rechnerei von uns Teilnehmenden am Pilotprojäckt verläuft also ohne Echo. Was wir Teilnehmende am Pilotprojäckt rechnen, ist letztlich schnurzwurscht. Was wir als Reserve errechnen, können wir uns in die Haare streichen, denn wichtig und richtig ist doch nur, was die IV-Stelle ihrerseits berechnet. Dass die IV-Stelle Fehler machen könnte, ist mit gänzlichster Vollständigkeit auszuschliessen, denn nur ein Vergleich (freilich mit der Rechnerei von Teilnehmenden selbst) könnte Fehler an den Tag bringen. Ja aber oh mei!! Welch eine Vorstellung, dass Menschen mit Behinderung der IV-Stelle ihre eigenen Rechenfehler aufzeigen könnte. Könnte! Wär ja furchtbar. Unerträglich!! Ja also dann schon lieber „keine Rückmeldung“.

Dass ein solcher Vergleich mit der individuellen Bilanz einer und eines jeden Teilnehmenden zu aufwändig sei… klingt es in meinen Ohren, ohne dass ich dieses Argument je ausgesprochen gehört hätte… Seufz!!!

Jetzt allerdings beginne ich mich allen Ernstes zu fragen - - wozu wir Teilnehmende am Pilotprojäckt denn überhaupt rechnen??? Wozu wir uns den Kopf zerbrechen, wie hoch wir die Rücklage für die AHV-Beiträge unserer Assistenten veranschlagen sollen – Handgelenk mal Pi sollte doch genügen? Die IV-Stelle rechnet doch richtig und genau. Und die Monatsabrechnung? Wozu denn?? Ein vorgedruckter, kopierter (und vernünftig adressierter – dies nur als Anregung…) Zettel würde doch reichen, „Bitte Budget wieder auszahlen! Danke!“ – Nein ehrlich, wozu müssen wir eine Reserve berechnen und ein ganzes Formular rappengetreu ausfüllen?

***

Diesen Text schrieb ich vor drei Wochen. Er ist unvollendet, doch die Aussage dürfte deutlich genug sein. Wir können uns winden und behaupten, wie wir wollen – es hat doch keinen Sinn. Wirklich ernstgenommen, wirklich als mündig angesehen werden wir nicht. Es hat solange keinen Sinn, bis nicht die Versorgermentalität aus den Köpfen der fit-for-work-people raus ist und das Bewusstsein eines schlichten Andersseins von solchen-wie-mir nicht drin. Was die fit-for-work-people freilich nicht daran hindert, mich in die Schranken zu weisen, weil ich ihre Namen aufs Korn nehme (sorry, aber diese kleine Retourkutsche müssen Sie mir schon gönnen…) – schliesslich geben sie mir doch ein Budget, was mich privilegiert – ja aber dann soll ich bitteschön den Schnabel halten. Man beisst nicht die Hand, die einen füttert. – Stimmt ja auch. Oder…? Darf ich denn wirklich nichts sagen, wenn der Apfel, den man mir in brustklopfender Grosszügigkeit gibt, ein paar faulige Stellen hat…? – Kann mir irgendwer aus diesem ethischen Labyrinth von Sollen/Können/Dürfen/Wollen heraushelfen??