6.6.07

Dreamteams

Es ist, denke ich, so, dass ein Mensch im Rahmen seiner Möglichkeiten, die sie oder er fast täglich zu erforschen und keinesfalls zu bescheiden (aber auch nicht überbordend) zu bestimmen hat, Signale aussenden kann, welche dann, bei wirklicher Ernsthaftigkeit, wohlwollend aufgenommen und in Möglichkeiten „zur Verfügung“ gestellt werden und bei aufmerksamem Hinfühlen von ihr oder ihm ausgeschöpft werden können.

Solche Sätze kriege ich nur am frühen Morgen hin, wenn mein Hirn noch nicht von Dialogen oder Lektüren belastet ist.

Es war einmal, vor vielen Jahren, dass ich jemanden erleben durfte, einen Menschen, einen Begleiter feinster Art, der mir irgend wie selbstverständlich „zugeteilt“ wurde, wenn ich Mitglied unseres Ausgehgrüppchens war. Wir betraten ein überfülltes Restaurant und er stellte sich in eigentümlich unauffälliger und entspannender Art zwischen mich und die Haltung AAaaachtung!! Do chunnt eini vo dennä!! Platz doo, soffort!!. Er legte lediglich schützend den Arm um mich, lächelte mir eine feine Ermunterung zu, stützte meinen unsicheren Gang – es war eine eigentliche Unters(t)ützung – liebevoll, aufmerksam, dezent, stilvoll. Daran denke ich so so so oft. Danach begann ich mich, innerlich jammernd und heulend, zu sehnen, seit ich in das Stadium des bescheuerten Stühlerückens und der schwingenden Behindertenkeule eingetreten war. Das wünschte ich mir. Träumte davon. Wieder dieses Gefühl von Ruhe. Von Akzeptanz ohne jedes „trotz“. Mensch und nicht bunter Hund sein. Achtung ohne „obwohl“. Wertschätzung ohne „dabei“.

So stellte ich kürzlich ein Inserat folgenden Wortlautes ins www:

Stundenjob: Suche ab sofort persönlichen Assistenten ... Montags von … bis … und/oder ab und zu abends zum Ausgehen. Sehr flexible Sache. Bin 43, Frau, lic. phil., mit Kater, glaub eine eher untypische Vertreterin von allem. Benütze einen Rollstuhl. Aufgaben: Pflege, tägliche Dinge wie Anziehen, Haushalt, dies und das und manchmal Begleitung nach (n)irgendwo und zurück. Genaueres (auch Lohn…) nach Absprache bzw. Abschreibe. NUR homosexueller Student möglichst Fakultät I (!) oder homosexueller Intellektueller oder Kulturfreak mit viel Gefühl und sonnigem Wesen! Bewerbungen an – Freumi.“

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Artikel 8 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft: 1/ Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich; 2/ Niemand darf diskriminiert werden, namentlich nicht wegen der Herkunft, der Rasse, des Geschlechts, des Alters, der Sprache, der sozialen Stellung, der Lebensform, der religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung, oder wegen einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung.

Ganz abgesehen vom Modus der reichlich naiven Weltfremdheit (gleichermassen verteilt über Souverän und das Völkchen der Politiker) ist dieses Abschnittli schon mal per se ein Exempel für Diskriminierung: Die Homosexuellen sind nicht erwähnt. Der Text als Mise-en-abîme (so wie die Theateraufführung der Schauspieler im (Bühnen-) Stück Hamlet): Der Text, der gegen Diskriminierung vorgeht, ist gleich selbst ein Stückli weit diskriminierend, gälledsi. Was die Menschen mit Behinderung angeht, so ist Abschnitt 4 dieses Artikels echt ein Brüller: Das Gesetz sieht Massnahmen zur Beseitigung der Benachteiligungen von Behinderten vor.

Ich befinde mich wieder in diesem moralischen Wald, aus dem mir trotz Hilferuf keiner raus hilft. Vielleicht ist auch nur das -ali- zu viel und der Wald ist lediglich morsch. Es fehlt der zweite Satz: Aber es kümmert sich nicht um die Einhaltung von Vorgaben und wenn Behinderte im Hiltl nicht ans Buffet rollen können, ist ihm das piepe.

Um das mit dem verwirrenden Modus zu verdeutlichen, nehm ich was ganz Einfaches. Artikel 7 der Bundesverfassung: Die Würde des Menschen ist zu achten und zu schützen. – Dass die Würde des Menschen nicht geachtet wird, wissen wir nicht erst seit gestern, als wieder mal ein Wohnhaus mit Asylbewerbern beschossen wurde bzw. direkt auf diese angelegt wurde. Freilich muss man auch hier zwischen Souverän und Politikervölkchen unterscheiden, wobei, was sehr relevant ist, auch innerhalb dieser beiden Gruppen ja längst nicht alles einig eitel wonnig ist. Die Würde des Menschen sollte geachtet werden, das schreiben wir philosophisch untadelig auf ein Papier, Druckerschwärze auf weissem Grund, Pixels in Screens, das legen wir Menschen vor, die nicht lesen können und später mit dem Sturmgewehr auf Menschen dunkler Hautfarbe ballern, aber sie schreiben „JA“ auf ein Stück Papier, Kugelschreiberbläue auf grauem Fötzeli, ausgelagerte Geisteshaltung soll das sein, ja, ja, so blauäugig sind wir. Es könnte auch heissen Die Würde des Menschen wird von so manchen hirn- und herzlosen Idioten nie geachtet werden, wir wissen das und schreiben es trotzdem, als ob es eine Tatsache wäre, „Die Würde des Menschen ist zu achten und zu schützen“, frommer Wunsch, aber vielleicht wird’s ja mal was, viele Leute geben sich ja Mühe, aber, ach, Mühe allein genügt eben nicht. Und so weiter.

Habe ich nun aber mit meinem Inserat gegen das Antirassismusgesetz verstossen? Immerhin habe ich Menschen wegen ihrer sexuellen Ausrichtung öffentlich glatt bevorzugt. In Ausschliesslichkeit. Also habe ich alle andern diskriminiert. Quasi in Opposition zu Anti. Dass Minus mal Minus Plus gibt, weiss ich ja schon noch, aber Anti mal Diskriminierung mal Bevorzugung einer im Gesetzestext gar nicht erwähnten Eigenschaft? Immerhin fühle ich mich im Plus:

Die erste Rückmeldung, die ich auf mein Inserat hin bekam, war mit so vielen Ausrufezeichen und Smileys gepflastert, das war allein schon den nicht unteuren Einsatz wert: Es war keine Bewerbung, doch ein schlicht umwerfender Ausdruck von Begeisterung, von reiner Freude über ein so direktes Ansprechen einer sonst eher ins Abseits gedrängten Gruppe von Menschen, die nichts als anders sind als der Mainstream. Freilich gay. Wundervoll… Die 5th Avenue fiel mir gleich ein, die flippige Endjuniparade, die Zuversicht und Selbstbehauptung, die ungeschminkt von verrücktest geschmückten Zauberfiguren in Form farbiger Ketten unter applaudierende und rhythmisierte Zuschauer geworfen werden. – Ach, und dann war da noch der Wunsch, ich möge meinen Assistenten finden.

Hab ich dann auch. Ihn gefunden.

Einen Schatz, den ich nun mit niemandem auch nur eine Sekunde lang teilen werde. Voll egoistisch. Hubert, nicht Herbert. Ohne jegliches „aber“. Bis es wieder vorbei ist. Studenten bleiben nicht ewig. Seufz.

Soll mich aber jetzt bitte keiner an meinen weltanschaulichen Überzeugungen aufhängen.