24.10.06

Meine Ferien

Nach längerer Künstlerpause gizz jetz es Schüeleruufsätzli.

Meine Ferien

Der Prospekt des Reisebüros der Behinderten-Zerwaltungsorganisation Orp-Pac in Schmollten im Kanton Fahlgrau glänzte mit einem romantisch-rustikalen Bildli und machte bekannt, endlich „den perfekten“ Ort gefunden zu haben, wo *Behinderte, also in anständiger Sprache Menschen mit Behinderung, eine Ayurvedische Behandlung geniessen könnten. Die behinderte Suite im Hotel sei „vollständig rollstuhlgängig“. Orp-Pac recherchiert vorgängig die Orte, die dann im Reiseprospekt empfohlen werden. Weil ich aber mit Orp-Pac schon früher einigermassen befremdliche Erfahrungen gemacht hatte (so hatte man sich einmal ergossen, man könne mir erst nach der Buchung mitteilen, wie das gebuchte Zimmer aussieht), machte ich mich im www schlau und fand auch gleich das Hotel und ein der Konstellation entsprechendes Reisebüro. Im Laufe meiner generalstabsmässig durchgeführten Abklärungen (wir müssen unsere Ferien planen wie manche Regierungen ihre Kriege - oder war das im Irak etwa nicht als holiday geplant…?) bat ich um eine Foto des behinderten Badezimmers. Wo eine Badewanne zu sehen war. Aaaa-ha. Aber im Behandlungszentrum seien Duschen, und die seien rollstuhlgängig. Okay. Ich buchte. Schliesslich würde Sara mitkommen, und sie ist eine tifige und starke Frau.

Die Ferien waren zauberhaft, das Hotel schlicht ein Traum, die Anlage still und übervoll von liebevollst gepflegten Pflanzen, Adam und Eva winkten noch traurig von ännet der Mauer. Im Ayuveda-Häuschen bieten vier (B)Engel Behandlungen an, die Liebkosungen in vollendeter Form gleichen, und die Küche, jaa, die ayurvedische Küche!! Für Fein-Schmecker ist sie kaum zu übertreffen. Personal? Tadellos. Freundlich. Sara duschte mich in der Badewanne und half mir, wenn ich ölig war, vom Behandlungstisch in den Rollstuhl. Sie war sowieso den ganzen Tag und die ganze Nacht für mich da.

Weniger erbaulich war, dass das gesamte Gelände, also da, wo keine Wiese war, mit Natursteinplatten ausgelegt war. Alles andere als rollstuhlgängig. Holterdiepolter zur Suite, zum Restaurant, zum Zentrum, zum Pool, denn alles liegt einzeln verteilt nebeneinander. Mittlerweile dürften meine Radspuren im Gras verschwunden sein… Die Duschen im Behandlungszentrum waren zwar schwellenlos befahrbar, aber die Türen waren zu schmal, Griffe waren keine da zum Halten, kein Sitz zum Sitzen.

Ja und so schrieb ich das nach meiner Rückkehr auch an Orp-Pac. Ich wollte nichts als informieren, dachte, ich sollte die Organisation, die sich so unsäglich um das Wohl von Menschen mit Behinderung (also Menschen ohne mündigen Menschenverstand) zu kümmern preist, darauf aufmerksam machen, dass sie das nicht so im Prospekt stehen lassen dürfe, „perfekt“ und so. Um es speziell bescheuert auszudrücken: Ich habe es ja nur gut gemeint!

Zurück kam ein Schreiben von Frau E. B. Ich sei sozusagen selber schuld, hätte halt vorher mit ihr reden müssen, im Prospekt stehe ja nirgends, der Ort sei für eine alleinreisende Rollstuhlfahrerin geeignet, sie sei zweimal vor Ort gewesen und die Suite, die Orp-Pac vermiete, habe sehr wohl eine befahrbare Dusche, und zwischen „rollstuhlgängig“ und „rollstuhlgerecht“ sei eben ein Unterschied.

Seeeeeeuuuuuuuuuuuuuuuufzz!!!!!!

Also. Beklagt hatte ich mich ja gar nicht. Jemanden von Orp-Pac Abklärungen für mich machen zu lassen, dauert ewig und ist umständlich; gesehen haben die mich zwar noch nie, glauben aber dennoch tatsächlich, meine Bedürfnisse zu kennen, bloss weil ich ihnen mal den Namen meiner Krankheit verriet. Was ich zutiefst bedaure. Und zum Abklären meiner Bedürfnisse ist weiss Gott niemand besser befugt als ich. - Allein bin ich ja nicht gereist, aber das ist auch gar nicht der Punkt und eigentlich geht das niemanden bei Orp-Pac etwas an. - Zweimal sei sie, Frau B., dort gewesen! Untermauert das die Richtigkeit ihrer Recherchen und Behauptungen oder darf man sich fragen, ob der Job, dreieinhalb Räume zu inspizieren, derart anstrengend ist, dass zweimal auf Betriebskosten gereist werden muss? - Dann: Orp-Pac muss aufblasbare und tragbare Suiten besitzen, die sie im Bedarfsfall an den gewünschten Ort bringen. Jedenfalls hatten Sara und ich die einzige behinderte Suite auf dem Gelände, und die hat eine Badewanne. - Und zu guterletzt: Da reitet Frau B. auf dem sprachlichen Unterschied zwischen „rollstuhlgängig“ und „rollstuhlgerecht“ rum – als ob das in der grandiosen Geschichte des Behindertentums je sonderlich relevant gewesen wäre. Sollte mit „rollstuhlgängig“ soviel wie „mit Rädern berollbar“ gemeint sein, dann wäre jeder Naturweg, über den Bauer Blocher mit seinem Traktor wetzt, rollstuhlgängig. Das Geholper auf den Natursteinen hat Frau B. jedenfalls bestimmt nicht am eigenen Leib gespürt.

Doch nun das Finale: Es heisst Rollstuhlgerechtigkeit. Frau B. meint vermutlich, wäre der Ausdruck „rollstuhlgerecht“ im Prospekt gestanden, hätte das bedeutet, alles wäre meinen Ansprüchen gerecht geworden. Hier liegt aber genau der Hund. Während die Behindertenversorger meinen, mit dem Ausdruck „rollstuhlgerecht“ alles richtig zu machen, sage ich als Betroffene, es sei eben nicht Sache, dem Rollstuhl gerecht zu werden, sondern dem den Rollstuhl benützenden Menschen.

So verschieden sind die Perspektiven. Als Oberboss bei Orp-Pac würde ich Madame B. in hohem Bogen feuern. Hätte sie das Badezimmer wirklich persönlich gesehen, würde sie sich nicht zur Bezeichnung „vollständig rollstuhlgängig“ versteigen. Aber das wird Orp-Pac nicht tun. Denn ich bin ja eine Invalide, und was ich sage, kann noch dreiunddreissigmal der Wahrheit entsprechen, aber wenn Frau B. von Orp-Pac sagt, dass da eine befahrbare Dusche ist, dann ist das so. Ist das so. Ist das so. Das so. Das so. Das so. Das so. So. So.

Tilt.