10.10.08

Sein wie man ist und probieren, wo man hin will

Um die unendliche Geschichte des Schottenrocks, denichseitjanhmhmmhm, zu unterbräächen, soll dem Eintreten eines geliebten kleinen Wahnsinns bissl Aufmerksamkeit geschenkt werden.
Anfänge:
Anfänge kommen ruckartig. Bisweilen ist dieser Ruck lediglich ein zarter Hauch, dem jedoch eine sturmgewaltige Kraft innewohnt; oder er ist ein feines, aber bestimmtes Knacken, gleich dem eines dürren Zweiges, welches Altem von Neuem jedoch glasklar trennt und doch nur von dem zu hören ist, der es hören soll; oder er gleicht einem Riss in der Atmosphäre, der, würde er eingefärbt, in Regenbogenfarben aufblitzen würde. Anfänge raffen eine gesamte Vorgeschichte wie die Seidenschleppe von einem dunklen Hochzeitskleid genüsslich in ein knisterndes Knäuel und werfen den Stoff hoch hinauf ins Licht, wo er sich in einer hellen Farbe neu und hell entfaltet. Anfänge lassen sich nicht bloss in zeitlichen Dimensionen erkennen. Sie beschränken sich manchmal auf Räumlichkeit. Dort sind sie aber schwieriger auszumachen, ist doch das Wortpaar „hier“ und „dort“ als Anfang nicht so bekannt wie das von „alt“ und „neu“, wenn sie nicht ausdrücklich damit spezifiziert werden: „hier das Neue und dort das Alte“.
Was soll das bitteschön mit Assistenz zu tun haben? Nun, es sind meine Worte und meine Person ist vom Konzept der Persönlichen Assistenz nicht zu trennen. Übrigens ist das eine dritte Sorte von Anfang: Die Überschreibung (bei Texten), in diesem Zusammenhang aber eher so etwas wie eine dichte Verwobenheit, eine Art Emulsion – nähme man eine Komponente fort, bliebe ein schaler oder inhaltsloser Rest zurück, jedenfalls eine Substanz, welche die verfolgte Absicht vollkommen verfehlt.
Das ganze Leben ist ein Ausmachen von Momenten, in denen ein gerafftes Seidenknäuel durch die Luft fliegt.
Weiter gibt es da dieses Gesetz der Anziehung. Es ist ein Gesetz und es kann als Gesetz genutzt werden, doch meist findet man sich bloss als Puzzlestein in den Konstellationen der Lebensmomente wieder und kann lediglich drüber schmunzeln, dass man dem Gesetz doch nicht entrinnen kann.
Zum wievielten Male würde mir das Café drüben bereithalten, woran ich erkennen kann, wie ich in den Wald rufe? Das Café drüben ist für mich oft wie der Spiegel, in dem wir die Gestalt erkennen, die in ihn blickt. Das klingt höchst banal. Trage ich jedoch dem Umstand Rechnung, dass eine Situation, in die ich gerate, ebenfalls ein Abbild meines Gemütszustandes sein kann (und darüber hinaus kein Entrinnen vor Seitenverkehrtheit oder ähnlicher Verzerrung ist), wird die Angelegenheit verworren. Ich glaube, zu wissen, wer in den Spiegel guckt. Schau ich aber rein und ein Schafskopf starrt zurück, muss ich mich wohl fragen, ob ich ein Schaf bin und es vielleicht nicht wusste? *
Freilich war es nur wieder ein channi hälfe, das von der Seite an meine Ohren drang, doch war dieses ein so herzlich frisches und unkompliziert unverbindliches Angebot, dass ich in Versuchung geriet, schnell einen Vorwand zu erfinden, damit ich es annehmen kann. Ein wenig später wandte ich mich an die Stimme - mit einem Jobangebot. Ich habe recht viele Assistenten und setze sie nach ihren vortrefflichsten Fähigkeiten ein, was für beide Parteien die Freude am Kontakt und am durchaus kreativen Resultat vertieft. Diese Stimme passte in mein Konzept. Ich hörte ein leises Knacken. Joaquim hörte es auch.
Jetzt hab ich einen wundervollen Assistenten mehr. Einen voller Wunder! Eine ganz neue Art der Mitarbeiterrekrutierung war das… Es war ein Griff mitten hinein ins Leben. In den wenigen Augenblicken nach denjenigen Worten, auf die ich üblicherweise allergisch reagiere oder ich mich gleich taub stelle, geschah so ein Anfang. Manche Leute werden jetzt freilich sagen, das sei ein purer Glücksgriff gewesen. Es hätt ja auch ganz anders kommen können. Das denke ich mir hingegen ganz und gar nicht und was für meine These spricht, ist schlicht das, was IST.
Es kommt jetzt ab und zu vor, dass ein wohl einzigartiges Duo Zürichs Strassen etwas bunter macht: Eine Frau mit Rollstuhl auf einem blauen Töff und ein Mann auf einem Rollbrett, der sich an den Griffen vom Rollstuhl festhält und sich ziehen lässt. Oder auch nur an einem Griff, dann geht er auf seinem Rollbrett in die Hocke, schwingt sich in Seitenwagenpose und die beiden unterhalten sich.
Schon öfter hab ich von dem, was ist, Rückschlüsse gezogen auf das, was sein soll. Hausfrauenphilosophie? Also, ich hab ins volle Leben gelangt und kriege nun ein Stück volles Leben zurück! Dem Pilotprojäckt sei Dank, denn jeglichen Lebensgriff könnt ich sonst vergessen. So sind wir auch schon an ein Konzert im Literaturcafé gefahren, das Joaquim mir überhaupt erst gezeigt hatte. Per Töff, versteht sich. Und per Rollbrett.
Natürlich ist alles viel verwickelter. Das Projäckt kam just in dem Moment, wo mein Hilfsbedarf erheblich anstieg. Um manche Verantwortliche zu beruhigen: Joaquim hilft bei schlicht allem, wir sind jetzt also keine Fun-fokussierten Unverantwortlichen und manchmal ein sehr solides unlustiges Helfer/Geholfene-Paar, wie es sich gehört… Weshalb empfinde ich bei all dem, was mein Leben so zerfetzt, noch immer so viel Lust auf Unfug? Noch immer? Immer wieder? Und ich greife mir ausgerechnet jemanden, der noch ganz unberührt ist von jeglichem versorgungsindustriellen Übervorsichtsgeist.
Was werden die armen, überforderten Polizisten sagen, die uns irgendwann einmal rauswinken werden? Immerhin halten wir ganz brav an, wenn die Ampel auf Rot steht und fahren nur bei grün über die Kreuzung. Für die vielen verrenkten Hälse sind wir schliesslich auch nicht verantwortlich. Joooaaahh!! Da döffed Si aber nöd! Ehrfurcht vor dem Rollstuhl und Zorn (bzw. Neid – jedenfalls eine Todsünde…) auf den vogelfreien Skater: eine interessante Mischung!
Die aufmerksame Leserschaft hat freilich gleich bemerkt, dass der Titel dieses Blogeintrags nicht von mir stammt. Joaquim hat ihn modelliert, nachdem die letzte Moule ausgeschlürft und der Blick auf den See wieder unbewegt still war. Es gibt verschiedene Wege, die zur selben Erkenntnis führen, ob man nun mit Zwanzig die Chemie im Körper unrettbar versaut hat oder mit Fünfundvierzig der flotten Gesellschaft nur mehr von sehr weit zuwinken kann. Sie führen zu einer Aussage, die eigentlich aus der erkenntnispubertären Phase jedes wachen Geistes stammt, einem Gemeinplatz: Das Leben ist jetzt, in diesem Moment. Und dass das Leben stets Hauptprobe und Aufführung gleichzeitig ist mag ein Hinweis drauf sein, wie kostbar der jetzige Moment ist, in dem man probiert, wo man hin will.
„Ist der Ruf mal ruiniert, lebt sich’s endlich ungeniert!“ meinte Wilhelm Busch, und so warte ich getrost auf den Augenblick, wo die Polizei das eigentümliche Töff/Rollbrett-Duo anhalten wird. Manchmal ist es herrlich, durch alle Maschen zu fallen. Vor allem, wenn die Gesellschaft mich vorher so gründlich durch die Maschen gepresst hat mit ihrem fummligen hysterischen hilflosen unlogischen verkrampften Getue. Jetzt falle ich einmal, weil ich es will!

* Schulmediziner würden nun freilich die Beschaffenheit des Spiegels anzweifeln und der Qualität des Spiegel(n)s den Stempel „pathologisch“ verpassens…